Bei der Rekrutierung von qualifizierten Frauen tun sich Firmen nicht selten schwer. Melanie Vogel hat Handlungsempfehlungen für Unternehmen in puncto „Female Recruiting“.
Frage: Frau Vogel, wo hapert es denn am meisten bei den Unternehmen, wenn es um das Anwerben hochqualifizierter Frauen geht?
Vogel: Grundsätzlich hapert es an der Konsistenz. Unternehmen bleiben im Regelfall nicht ausreichend am Thema dran. Durch die Pandemie ist in den Unternehmen eine grundlegende Stagnation eingekehrt. Es fehlt an vielen Stellen einerseits das Bewusstsein für den demografischen Wandel, und andererseits für die Erkenntnis, dass es wichtig ist, jetzt durchzustarten und sichtbar zu sein, denn die Studierenden und Absolventen, die das Studium vor Corona angefangen haben, sind jetzt nach dem vierten Onlinesemester oftmals mit dem Studium fertig. Diese Zielgruppe ist fast ausschließlich nur online zu finden – Frauen noch viel häufiger als Männer, wie Studien zeigen. Doch der Weg in das Online-Recruiting fällt den Unternehmen unfassbar schwer.
Frage: Offenbar gibt es ein Erkenntnis- und ein Handlungsdefizit bei Unternehmen, um das Female Recruiting voranzubringen?
Vogel: Wir sehen im täglichen Tun vor allem ein Handlungsdefizit. Das Interessante ist, und deshalb habe ich diesen überschaubaren Band geschrieben, die Unternehmen schaffen es u.U. sehr erfolgreich, Frauen zu rekrutieren. Aber in den Unternehmen passen sie die Strukturen nicht an. Es sind maßgeblich die Führungskräfte, die über das Wohl und Wehe der Karrieren entscheiden. Da müssten Personalabteilungen und auch die Personalentwicklungen in vielen Bereichen viel mehr tun, beispielsweise Führungskräfte konsequent schulen. Für diese Weiterbildung, die gar nicht so umfangreich sein muss, wird zu wenig Geld und kaum Zeit investiert. Das ist bedauerlich, weil dann der Rekrutierungserfolg im Mittelbau hängen bleibt. Es entsteht eine „Leaky Pipeline“. Frauen fallen durch das Karriere-Raster.
Frage: Woran mangelt es denn gerade bei den Zugangs- und Selektionsprogrammen für Führungskräfte?
Vogel: Führungskräfte werden insbesondere in den technisch orientierten Unternehmen oftmals nach Fachwissen zu Führungskräften berufen. Das ist einerseits natürlich goldrichtig. Aber auf der anderen Seite fehlt häufig die Führungskompetenz und damit verbunden gleichzeitig auch ein Bewusstsein für die Besonderheiten von Frauenkarrieren, die sich aufgrund familienbedingter Lebensphasen immer noch deutlicher von denen der Männer unterscheiden. Dieses Bewusstsein zusätzlich auch im täglichen Miteinander notwendig, denn Frauen brauchen beispielweise eine beziehungsorientiertere Ansprache. Das hierarchische Kommunikationsverhalten ist für viele Frauen kein natürliches Kommunikationsverhalten. Studien zeigen, dass Frauen viel leichter im beziehungsorientierten Dialog Dinge aushandeln können. Wenn das nicht erkannt und nicht nachhaltig gefördert wird, kommen letztlich nur die Frauen weiter, welche die Mechanismen der Männer übernehmen. Aber die breite Masse, die auch fähig wäre, den Mittelbau zu stärken, fällt durch das Raster. Das trifft insbesondere recht häufig Frauen mit Kindern.
Frage: Wie muss sich denn aus Unternehmenssicht das Recruiting gerade für Frauen mit Kindern ändern?
Vogel: Familie sollte stärker Normalität sein und kein Hindernis darstellen. Es wäre schön, wenn Unternehmen erkennen würden, dass Frauen, die zuhause geblieben sind und das Familienmanagement gelenkt haben, in der Regel unglaubliche Zusatzkompetenzen mitbringen, die man allerdings nicht durch ein Zeugnis nachweisen kann. Das gilt natürlich auch für Männer, wobei die Familienzeit der Männer noch sehr häufig kürzer ausfällt, als die der Frauen. Es ist nicht nur die erlangte Stressresistenz, es ist Führungs- und Organisationskompetenz. Es ist Durchsetzungskraft und das Managen unterschiedlicher Interessen von Menschen, die vom Alter her weit auseinander liegen. Frauen lernen in dieser Zeit auch, mit Rollenvielfalt umzugehen. All das sind wertvolle Kompetenzen, die in den Unternehmen gebraucht werden.
Frage: Frauen definieren Karriere anders als Männer. Sie wollen persönlich wachsen, sich weiterentwickeln. Wie sollten Unternehmen darauf beim Recruiting reagieren?
Vogel: Aus meiner Sicht muss das Rad nicht neu erfunden werden. Man braucht keine signifikant anderen Recruitingmechanismen. Man braucht in vielen Fällen lediglich andere Begriffe. Führung und Führungsmacht könnte man in klassischen Recruitinganzeigen beispielsweise durch Gestaltungskompetenz ersetzen. Das spricht Frauen mehr an. Männer fühlen sich durch die veränderten Begriffe übrigens nicht ausgeschlossen, wie Studien eindeutig belegen. Was man durch die Veränderung von Begriffen und Bildern aber immer erreicht, ist die Inklusion von Frauen und damit auch die Zunahme an weiblichen Bewerbern. Über Sprache und Bilder vermittelt man Beziehung und Emotion. Und das ist es, was erfolgreiches Female Recruiting ausmacht: Es ist ein bewusstes Beziehungsmanagement mit dem Ziel, mehr Frauen für das eigene Unternehmen zu gewinnen. Durch den bewussten Einsatz von Sprache, Kommunikation und Dialog kann man viel verändern, übrigens auch bei den Führungskräften.
Frage: Sie sind fordernd bei Ihren Handlungsempfehlungen. Welche Unternehmen können das überhaupt leisten, und müssen sie sich da nicht noch stärker als lernende Organisation verstehen?
Vogel: Es gibt eine breitere Masse an Unternehmen, die zunächst erkennen, dass Frauen für den Gesamterfolg des Unternehmens wichtig sind, und die nach der Erkenntnis schrittweise versuchen, Methoden und Werkzeuge umzusetzen bzw. einzusetzen. Hier unterstützen wir sehr konkret mit unserem Arbeitgeber-Assessment. Wir gehen dabei nicht mit einem Gießkannen-Prinzip vor, sondern achten sehr darauf, was für das einzelne Unternehmen ökonomisch und strategisch sinnvoll ist. Alle möglichen Maßnahmen müssen zur bestehenden Unternehmenskultur passen, damit die Authentizität gewahrt bleibt und der Kulturwandel auch innerhalb der Belegschaft Unterstützung findet. Es macht keinen Sinn, dass ein Unternehmen seine gesamte Unternehmenskultur auf den Kopf stellt, um Frauen zu akquirieren. Es sollte einen sanften, aber konsequenten Übergang geben, bei dem kooperativ darauf geschaut wird, was zum Unternehmen, zur Belegschaft und zu den unternehmerischen Zielen passt und gleichzeitig dem Ziel dient, mehr Frauen für das Unternehmen zu gewinnen.
Frage: Welche Rolle können hochqualifizierte Frauen denn in einer VUCA-Wirtschaftswelt spielen, in der Unternehmen unter ständigem Veränderungsdruck stehen?
Vogel: VUCA bedeutet ja letztendlich, dass wir uns von einer sehr künstlich-linearen Welt, die wir uns im Industriezeitalter geschaffen haben, hin zu einer hochdynamischen agilen Wirtschaftswelt des Wandels verändern. In dem Moment, wo wir die Linearität durchbrechen und in eine zyklische Bewegung kommen, findet ein sehr weibliches Element Eingang in die Unternehmenswelt. Aus meiner Sicht sind Frauen daher, wenn es um die Bewältigung dynamischer Veränderungsprozesse geht, prädestiniert, Seite an Seite kooperativ mit den Männern diese Wandlungsprozesse zu gestalten. Wenn das strategische Wachstum mit dem Managen zyklischer Veränderungsdynamiken kombiniert wird, entsteht nicht nur ein agiles Unternehmen, sondern auch unternehmerische Resilienz. Konsequent weitergedacht wäre somit die Forderung nach Jobsharing auf Führungsebene beispielsweise ökonomisch betrachtet nicht nur eine Notwendigkeit, sondern gleichzeitig auch ein unglaublicher Wettbewerbsvorteil. Insgesamt bietet die VUCA-Welt für Frauen unglaublich viele Chancen, ihre weiblichen Stärken zu stärken und in Kooperation mit den Männern die Wirtschafts- und Arbeitswelt zu verändern. Hin zu mehr Empathie, mehr Dialog, mehr Kooperation und mehr Nachhaltigkeit. Wenn das Bewusstsein für diese unternehmerischen Vorteile flächendeckend vorhanden wäre, bräuchten wir über Female Recruiting nicht mehr zu reden, denn dann wäre die bedingungslose Einbeziehung von Frauen in der Wirtschaft auf allen Unternehmensebenen eine natürliche Selbstverständlichkeit, die der gesamten Organisation und damit auch den Männern zugutekommt.
Das Interview erschien zuerst hier.